248 Hamburger Lesehefte sind bisher erschienen.
Goethe, Schiller, Fontane, Hebbel, Rilke, Kafka, Kleist, Lessing, Shakespeare, Storm, … Manchen bekannt, vielen verhasst und doch alle irgendwie mehr oder weniger Teil dessen, was man literarischen Kanon nennt.

Bin ich nicht allen Ernstes zu Beginn meines Studiums auf die lustige Idee gekommen, die alle bis zu meinen Abschlussprüfungen gelesen haben zu wollen? (alle 248…)

Sechs Jahre später.
Was für ein völlig utopisches Vorhaben. Aber mit dem Alter wird man ja bekanntlich weiser…

Dennoch kann ich inzwischen (mit ein wenig Stolz) auf 62 gelesene Hefte zurückblicken.
Anfangs war ich unfassbar enthusiastisch, habe jedes Heft, dass ich in die Finger bekam, gelesen (egal welchen Inhaltes): In der Bahn, vor der Uni, auf dem Klo.
Ich wollte gut vorbereitet sein auf mein Germanistik-Studium.
Inzwischen weiß ich: Es reicht, das zu lesen, was der Dozent sagt.
Und besonders gebildet habe ich mich nach der Lektüre so mancher Werke auch nicht gefühlt.

Mit dieser Ernüchterung hatte ich das Projekt für einige Zeit ad acta gelegt (zusammen mit der Einsicht, trotz aller Anstrengung niemals in der vorgegeben Zeit alle Hefte lesen zu können – auch nicht, wenn ich 15 Jahre studiere).

Erst vor einiger Zeit bin ich wieder zum Lesen klassischer Literatur zurückgekehrt.
Anstatt krampfhaft eine Liste abzuarbeiten, versuche ich zu erkennen, was gerade diese Werke auszeichnet, sodass sie in den literarischen Kanon aufgenommen wurden. Manchmal ist das einfacher, manchmal schwieriger nachzuvollziehen.
Und manche Geschichten haben einen Spannungsbogen, der statt einem Hügel eher einer Talfahrt gleicht.

Dennoch hat mich diese umfassende Lektüre sensibilisiert, wozu Sprache fähig ist, wie man Orte, Menschen und Dinge beschreibt, Handlungen einführt und aufbaut und den Dingen und Geschehnissen Bedeutung zuschreibt.
Inzwischen lese ich ein Werk und denke (mitunter): Toll gemacht!

Wenn ich das nur auch könnte…!
Ein fataler Gedanke.
Denn Nachahmung verwehrt die eigene künstlerische Entfaltung.
Ich bin der Meinung, dass man im Schreiben sich selbst und seinen eigenen Stil finden sollte. Der Vergleich ist gut, um zu lernen, aber nicht, um zu folgen, sondern auf diesem Weg sein eigenes schreibendes Ich zu entdecken.

Photo by Pixabay

7 Antworten auf „Der literarische Kanon

  1. Ich habe mich auch irgendwann davon verabschiedet. Die meisten stehen bei mir un- oder angelesen seit Ewigkeiten im Regal. Ich habe aber auch festgestellt, dass nicht das vollständige Lesen für mich wichtig ist. Teilweise reicht mir auch ein Durchsehen, einen Eindruck vom Stil zu bekommen. Das „durchackern“ artet schnell in gezwungenes arbeiten aus.
    62 ist schon eine beachtliche Zahl, finde ich! :-) Alles gute, Jo :-)

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    1. Danke :) ja, dieser Zwang ist anstregend und raubt letztendlich die Freude am Lesen. Dennoch bin ich der Meinung, wenn ich schon mal ein Buch angefangen habe, dass ich es dann auch bis zum Schluss durchziehe. Eine Lektüre abbrechen ist bei mir ein wirklich seltene Option. Es kommt dann aber auch vor, dass so ein Buch mal ein halbes Jahr auf meinem Nachttisch herumliegt…^^

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  2. Mark Twain hat mal so oder so ähnlich gesagt: „Ein Klassiker ist etwas, was jeder gelesen haben möchte, aber niemand lesen will“ und ich denke, dieses Zitat passt wie die Faust aufs Auge. Es gibt so viele Klassiker, die man irgendwie lesen will, aber es dann doch nicht tut, weil andere Werke viel interessanter, spannender, witziger etc. sind. Meine Liste an Klassikern ist lang, viel zu lang und bin froh, dass wir Kafka gerade in der Schule machen. Den finde ich zwar echt gut, aber meine Motivation, mich privat nochmal (habe die Verwandlung privat und den Prozess für die Schule gelesen) mit Kafka auseinander zusetzen ist irgendwie (momentan) gering. Naja, spätestens im Studium muss ich eh wieder ran.
    Liebe Grüße

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    1. Ich denke, man sollte am ehesten das lesen, auf was man Lust hat. Manchmal bin ich durchaus interessiert an Klassikern und dann gibt es wieder Phasen, da geht das so gar nicht. Da brauch ich ein spannendes Fantasy-Epos ;)

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  3. Lesekanon lesen?

    Die Idee, eine Liste von Büchern zu lesen, weil irgendjemand solch eine Liste nach seinen eigenen Bewertungsmaßstäben aufgestellt hat, finde ich etwas lustig.

    Da ich mich mehr für Naturwissenschaften und Technik interessiere, lese ich die Literatur, die mich interessiert und das ist nur teilweise Deutsche Literatur.

    Es gibt auch bei anderen Nationen hervorragende Schriftsteller. Angefangen bei den Sumerern mit dem Gilgamesh Epos, dem Alten Testament, dem Mahabharatha bis hin zu den nur mündlich überlieferten Märchen, Sagen, Mythologien und Lebenserfahrungen der Urvölker, wie den Aborigines zum Beispiel.

    Und da die Lebenszeit begrenzt ist, kann man leider nicht alles Wissen aufnehmen. Aber ich habe schon einen detaillierten Plan aufgestellt, wie mein Lesekanon aussieht, wenn ich in der Ewigkeit angekommen bin. Da die Ewigkeit bekanntlich sehr lange dauert, ist auch mein Lesekanon sehr lang, wobei ich allerdings noch nicht die vielen Bücher berücksichtigen konnte, die in anderen Galaxien geschrieben wurden.

    Einen Lesekanon durcharbeiten zu müssen, den andere einem aufzwingen ist eine Art moderne Sklaverei. Also am besten nur die Kurzfassungen lesen und die Bücher herauspicken, die man wirklich lesen möchte.

    martin

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    1. Hallo Martin,
      der literarische Kanon ist keine Liste, die irgendjemand festlegt. Dieser Kanon entsteht natürlich aufgrund von Auswahl und Selektion: Eine Generation entscheidet in ihrer Gesamtheit, welche literarischen Werke tradierungswürdig sind und welche nicht, welche weiterhin rezipiert werden und welche in Vergessenheit geraten. Das ist keine Entscheidung, die ein einzelner trifft. Von daher ist es sehr spannend, sich diese „Liste“ anzuschaun und herauszufinden, was diese Werke an sich haben, dass sie tradiert wurden.
      Sicherlich gibt es auch in anderen Kulturkreisen großartige literarische Werke. Die Frage ist nur, ob man selbst damit etwas anfangen kann. Die Literatur unseres Kulturkreises ist das Kulturgut unserer Heimat, ein Teil unserer historischen Geschichte. Literatur spiegelt in vielen Punkten die Ereignisse ihrer Zeit wieder. Dadurch entsteht Identifikation. Mit fremder Kultur und ihrer Literatur sich zu identifizieren ist nicht so einfach, da wir in dieser ja nicht groß geworden sind. Was nicht heißt, dass man dafür nicht dennoch Interesse entwickeln kann.
      Ich weiß nicht, ob du meinen Beitrag bis zum Ende gelesen hast – von einer zwanghaften Lektüre bin ich schon lange abgerückt. Dieser „Zwang“ war zu Beginn auch durch mein Studium motiviert.
      Ich besitze inzwischen gar keine Bücherliste mehr. Ich lese von einem Buch zum nächsten, ohne jeglichen Gedanken, etwas abarbeiten zu müssen. Ich lese, worauf ich Lust habe. Und ich habe nunmal oft Lust auf Klassiker des literarischen Kanons ;)

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