Es trifft die Kassiererin im Supermarkt genauso wie den Penner an der Straßenecke, den eiligen Geschäftsmann genauso wie die alte Dame mit Rollator: Manchmal brauchen wir in unserer Geschichte schnell einen Statisten, der unseren Protagonisten auf etwas aufmerksam macht, einen Hinweis gibt, eine Nachricht überbringt oder zur wichtigen Erkenntnis verhilft.
Während wir gern viel Zeit in die Charakterentwicklung unserer Protagonisten stecken, fallen solche Statistenrollen gern hinten runter. Ihre Beschreibungen umfassen nicht mehr als das, was sie unmittelbar ausmacht. Sie sind, wie die Aufzählung zu Beginn des Textes zeigt, oft sehr stereotyp gehalten.
Und das ist gut so.
Wir haben als Autor keine (Erzähl-)Zeit, uns in solchen unwichtigen Nebenfiguren zu verlieren. Stereotypen helfen uns und dem Leser, sich schnell und unkompliziert ein Bild von der Figur zu machen, ohne dass es vieler Worte verlangt. Stereotypen sind quasi Figur-Expresslieferungen.
Problematischer wird das Ganze, wenn aus dieser kurzen Einblendung mehr wird.
Mit zunehmender Wichtigkeit ist es vonnöten, der Figur mehr Details und Tiefe zu geben. Das stellt sich bei Nebenfiguren jedoch mitunter nicht ganz einfach dar. Wie soll aus einem Stereotypen plötzlich ein unverwechselbares Individuum werden?
Nebenfiguren kann man zum Beispiel anhand dieser vier Kategorien individualisieren:
- Outfit: Ob Öko-Cardigan, Rock mit Häkelspitze oder eine karierte Schirmmütze: Einfach mal zu H&M gehen und sich von der aktuellen Kollektion inspirieren lassen. Da findet sich immer etwas richtig Außergewöhnliches.
- Aussehen: Haltung, Gang, Gesichtszüge und Körperform können hier beschrieben werden. Aber auch Details wie die Augen, Hände oder Nase können Menschen spezifizieren.
- Stimme: Ist meist schwieriger zu beschreiben; es lohnt sich, eine Liste mit Adjektiven und Vergleichen anzulegen, auf die man später zurückgreifen kann.
- Verhalten: Ticks und Macken können unterschiedliche Ausprägungen annehmen. Wichtig ist, auf Klassiker wie „Er strich sich durch das Haar.“ oder „Sie kaute auf der Unterlippe.“ zu verzichten. Man kann kein Klischee durch ein weiteres Klischee brechen.
Dabei solltest du dir einen einzelnen Aspekt herausgreifen, der die Figur unverwechselbar macht (also entweder hat sie eine außergewöhnliche Stimme oder ein außergewöhnliches Outfit). Zu viele Details können die Figur zu sehr in den Mittelpunkt rücken. Der Beschreibungsumfang entspricht dann nicht mehr ihrer Wichtigkeit in der Handlung und der Leser ist irritiert, wenn eine so umfangreich eingeführte Figur gleich wieder verschwindet.
Grundsätzlich solltest du versuchen, so wenig wie möglich Nebenfiguren zu verwenden, oder auf bereits erwähnte Figuren zurückgreifen. Dadurch bleibt die Gesamtmenge an Figuren für den Leser überschaubar.
Falls du dennoch mehrere Statisten benötigst, ist es sinnvoll, ihre Merkmale aus verschiedenen Kategorien zu schöpfen, damit der Leser sie besser auseinander halten kann.
Kein gutes Beispiel: Der Mitarbeiter mit der dunklen Stimme sprach zu dem Mitarbeiter mit der hellen Stimme: „Bei dir stimmt doch was nicht!“
Ein besseres Beispiel: Der Marketingleiter sprach mit wohltönender Stimme zu seinem koboldgesichtigen Vorgesetzten: „Alles eine Frage der Darstellung.“
Eure Alex
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Ich versuche eigentlich, alle Charaktere gleich zu behandeln, wenn ich sie erstelle. Gerade Nebenfiguren finde ich sehr wichtig, um die Welt und die Geschichte zu beleben. Klar, für einen Auftritt von 3 Sätzen mache ich mir nicht unbedingt viel Arbeit, aber generell versuche ich immer, allen genug Charakter und Wiedererkennungswert zu verleihen, wie es geht. Liegt auch daran, dass ich erstens nie komplett durchplane, wie die Geschichte verläuft und es durchaus möglich ist, dass eine Nebenfigur doch eine größere Rolle einnimmt und ich mir zweitens gerne die Möglichkeit für Weiterführungen deren Geschichten offen halte. Ich vernetze ganz gerne meine Geschichten miteinander und da wird dann eine Nebenfigur in einer der nächsten Geschichten auch mal zum Protagonisten. So habe ich dann schon ein gutes Bild von der Figur. Es schadet also absolut nicht, diesen Figuren auch etwas mehr Aufmerksamkeit zukommen zu lassen, wenn man mich fragt.
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Grundsätzlich sehe ich das ganz genauso wie du. Mein Fokus lag in diesem Artikel jedoch eher auf den Figuren, die man ganz plötzlich mitten im Schreibprozess „mal kurz braucht“, also solche, von denen ich nicht vorher wusste, dass ich sie brauchen werde. Und da sehe ich immer ein großes Problem beim Entwerfen, weil ich meinen Schreibprozess auch nicht ewig unterbrechen will, um mir eine sonstwie tolle Figur zu erarbeiten ;)
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In dem Fall bietet sich ja dann die spätere Überarbeitung an, um der Figur vielleicht noch etwas Schliff zu geben, sofern das dann nötig ist. Für einen Auftritt von drei Sätzen mache ich mir da wie gesagt keine große Mühe.
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Hey Alex,
ein richtig toller Beitrag! Danke! Das hilft mir gerade wirklich weiter! Sehr cool :)
LG, Daniela
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Hallo Alexandra,
ich kenne das Problem, mal schnell einen Statisten in eine gerade entstehende Szene einbauen zu müssen. Danke für deine Tipps, die werden helfen. Ich möchte sie ja gerne dem Leser bildhaft vor Augen führen. Nur sollten sie vielleicht nicht gerade spektakulär sein, um Plotentgleisungen zu vermeiden.
Viele Grüße, Ulrike.
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Hallo Ulrike,
das „spektakulär“ im Titel war auch eher übertrieben-provokant gemeint ;) Ansonsten würde es wohl wahrhaftig schnell zu Plotentgleisungen kommen – mein Spezialgebiet^^‘
Liebe Grüße, Alex
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Hallo Alex,
ich versuche für solche Situationen , bereits vorhandene Charaktere zu „recyclen“, wenn ich jemanden brauche, der zB in Kapitel 5 einen wichtigen Hinweis gibt, schaue ich, welche Statisten bereits in Kapitel 2 aufgetaucht sind und dafür geeignet wären.
Einer meiner Statisten hat so sogar noch eine ziemlich wichtige Rolle bekommen.
So weiß ich manchmal selber gar nicht, welcher meiner Charaktere später noch wichtig wird und wer nicht, es lässt die Geschichte aber für mich in sich stimmiger und geschlossener werden, ohne dem Leser zu viele verschiedene Leute zuzumuten.
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Mit dem Recyclen von Figuren arbeite ich auch sehr gern! Es ist einfach schön, alte Bekannte wieder zu treffen ;)
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„Figur-Expresslieferungen“ den Begriff muss ich mir merken :D
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